Kennst du das? Du hattest gerade ein Gespräch, das dich gefordert hat. Du hast dich vorbereitet. Du hast dir Mut zugesprochen und bist mit einem Lächeln ins Gespräch gestartet. Dann ist das Gespräch vorbei, Erleichterung breitet sich aus. Dann hörst du diese leise Stimme im Kopf, die dir einflüstert „Ich hätte besser antworten müssen.“, „Ich hätte besser aufpassen müssen.“ oder „Ich hätte viel mehr sagen sollen.“. Die Stimme wird lauter, weil du ihr zuhörst, bis sie gänzlich von dir Besitz nimmt und dir all das sagt, was dich schlecht und minderwertig fühlen lässt. Und ehe du dich versiehst, sitzt du schon im Gedankenkarussell. Dir fallen ähnliche Situationen ein. Aus längst vergangenen Beziehungen. Aus vergangenen Jobs. Aus Streitigkeiten mit deiner Familie. Unsere Vergangenheit ist voll von negativen Erfahrungen. Selbstkritik und Selbstablehnung wirken selbstzerstörerisch. Und damit bist du nicht allein! Ich habe im Laufe meines beruflichen wie persönlichen Lebens viele Menschen kennen gelernt, die sich selbst wenig wert gefühlt und wenig geachtet haben. Und auch in meinem Leben gab es Zeiten, die dahingehend gut an mir gekratzt haben. Doch warum gehen wir so mit uns um?
Die Wurzeln liegen in der Kindheit
Ein Blick in die Kindheit verrät uns, warum. Gerade in den ersten Lebensjahren können wir noch nicht für uns selbst sorgen, sodass wir sowohl körperlich als auch emotional von anderen abhängig sind. Wir brauchen also andere, um unser Überleben zu sichern. Zuerst kommen da die Eltern ins Spiel, dann Großeltern, Erzieher:innen, und deren Zuneigung wollen wir uns nicht verscherzen. Wir hören also immer wieder Belehrungen („Mach das nicht!“), Korrekturen („So macht man das!“) und Ermahnungen („Hör auf damit!“) und… passen uns an. Wir lernen, die Kritik unserer engeren Umgebung, wenn es zu Fehlern und Schwächen kommt, ernst zu nehmen und verurteilen uns selbst dafür, nicht gut genug zu sein. Hier erscheint der Kritiker auf der Tanzfläche unseres Lebens. In seiner Gestalt hast du dich fortan selbst belehrt, korrigiert und ermahnt. Somit bist du deinen engsten Bezugspersonen immer ein Schritt voraus gewesen und warst „lieb“ und „artig“ zu deinen Mitmenschen, um einer potenziellen Bestrafung zu entkommen.
Inzwischen bist du jedoch aus den Kinderschuhen entwachsen und stehst mit beiden Füßen fest im Leben. Und dein Kritiker ist immer noch dabei, um dich fertig zu machen. Und damit ist er nun allein, denn deine Eltern, die dich sicherlich auch gelobt und dir Aufmerksamkeit geschenkt haben, sind nicht mehr direkt an deiner Seite. Und so findet jedes Nörgeln, Meckern und Zweifeln des Kritikers über deine innere Stimme dein Gehör. Schlimmstenfalls attackiert er dich dermaßen, dass du nicht nur dein Selbstvertrauen und deine Selbstbewusstsein verlierst, sondern gar in die Depression rutschst. Aber hast du ihn schon einmal gefragt, ob und wie du ihn wieder loswerden kannst?
Den inneren Kritiker für sich nutzen
Tatsächlich kannst du lernen, konstruktiv mit deinem Kritiker umzugehen. Der eine oder andere schafft es mit Meditieren (ich nicht), dem imaginären Stop-Schild (ich nicht) oder dem Hinterfragen der fiesen Gedanken (ich gelegentlich). Hast du jedoch schon einmal probiert, ihn tatsächlich anzuhören? Wie wäre es mit einem Dialog, um ihm zuzuhören und ihn ernst zu nehmen? Ja, das klingt im ersten Moment vielleicht komisch, mir jedoch hat es geholfen. Dabei zu verstehen, dass mir mein innerer Kritiker Beschützer und Unterstützer sein möchte, hilft mir ebenso dabei. Ich schreibe hier auch wieder sehr viel auf, was mir leichter gelingt, als einen Dialog im Kopf durchzuspielen. Nach anfänglichem Schwertun (Hallo, Komfortzone!) klappt es mehr und mehr, dass Susi – jupp, einen Namen gibt es bei mir auch – die Klappe hält.
Übrigens: Inzwischen habe ich ihm noch einen inneren Coach zur Seite gestellt, der mich des Lobens befähigt, wenn mir etwas Gutes gelungen ist – vor allem, wenn vorher gezweifelt wurde. Die beiden sind so was wie mein Inner Dream Team, weil sie sich gegenseitig unterstützen.
Ich erinnere mich dabei stets daran, dass das Ganze Zeit braucht, sich einzuspielen. Wenn du also erwartest, dass du schon morgen mit deinem Kritiker Arm in Arm läufst, wirst du schnell eines Besseren belehrt. Erlaube dir also, an dich zu glauben – und deinen Kritiker wertzuschätzen.
Probier’s gern aus! Ich freue mich, von deinen Erfahrungen zu lesen.
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Sehr gerne, Susanne, und herzlichen Dank für deinen Kommentar. 🙂 Großartig, wie du das angehst! Ich wünsche dir sehr, dass dein Kritiker kleiner und kleiner wird und die hierfür nötige Geduld.
Das imaginäre Stoppschild verwende ich, wenn es klar erkennbare Introjekte sind (heftigst überzogene Kritik und harter Leistungsdrill meiner Mutter), zusammen mit der Aussage „So rede ich nicht mit mir!“. Natürlich war damals die sicherste Variante ihren Ansprüchen zu genügen und sich selbst immer daran zu erinnern, mein innerer Kritiker hat mich vor Mamas Ausbrüchen bewahrt.
Jetzt lernt er in einer Therapie, dass es nicht mehr notwendig ist, dass es für mich sogar schädlich ist, wenn es zu extrem wird. Meine Therapeutin ist derzeit sein Coach. Aber ich finde die Idee ganz toll ihm einen inneren Coach zur Seite zu stellen, ich werd diesen Input mitnehmen und besprechen. Herzlichen Dank.