Nein. Ein starkes Wort. Ein Wort, das Grenzen setzt. Und doch fällt es uns immer wieder schwer, Grenzen zu setzen, besonders wenn Gefühle im Spiel sind. Sind wir nicht in der Lage, gesunde Grenzen zu setzen, schaden wir in erster Linie uns selbst. Sagen wir in bestimmten Situationen „ja“ und meinen „nein“, ist das ein „nein“ gegen uns selbst – und das kann uns ordentlich Energie ziehen und den Stresspegel nach oben treiben. Ich kenne das gut aus meiner Vergangenheit, vor allem aus beruflichen Situationen, wenn ich eine Aufgabe nicht tun wollte. Ich hatte Angst, meine Mitmenschen zu verletzen oder dass sie schlecht über mich denken oder gar reden. Wenn ich dann der Aufgabe nachging, ging es mir nicht gut dabei. Geschah das über einen längeren Zeitraum, fühlte ich mich schnell unter Druck, eingeengt und ausgebrannt. Und das hatte Konsequenzen. Für die Stimmung im Job und zuhause, mir und anderen gegenüber. Irgendwann entschied ich, dass ich das nicht mehr länger mitmachen möchte. Ich erlaube mir seither, das Nein in meinem Sprachgebrauch immer häufiger anzuwenden, wenn ich merke, dass sich etwas nicht stimmig anfühlt. Mit der Zeit habe ich gelernt, Schuldgefühle auszuhalten. Überzeugungsversuche, Widerspruch abzubinden. Es ist stetiges Training. Ich erlebe auch heute noch Situationen, in denen die alten Verhaltensweisen wieder durchschimmern. Zuletzt fiel es mir schwer, die Einladung einer Freundin abzulehnen bzw. ich stellte fest, dass ich im Job zu viele Arbeitsaufgaben übernommen hatte.
Bist du ein Ja-Sager?
Geht’s dir auch so? Wie steht’s denn um deine Gefühle, wenn…
- andere dich um einen Gefallen bitten, den du gar nicht tun willst?
- dich jemand braucht, obwohl du gerade dringend Zeit für dich benötigst?
- dein:e Kolleg:in dir lästige Aufgaben aufdrängt?
- du keine Lust hast, bei einem Treffen der Familie dabei zu sein?
- dein Kind nach deiner Aufmerksamkeit verlangt?
- dich jemand sehen möchte, du aber gar keine Lust zu einem Wiedersehen hast?
Wie viele dieser Fragen hast du mit „ja“ beantwortet? Wichtig zu verstehen ist, dass alle Menschen unterschiedliche Grenzen haben. Fakt ist jedoch, dass wir alle Grenzen haben – und dies auch kommunizieren dürfen. Warum fällt es Menschen überhaupt schwer, „nein“ zu sagen? Oft geht dieses Verhalten auf frühkindliche Erfahrungen zurück. Vielleicht kommt dir einer oder mehrere der nachstehenden Glaubenssätze bekannt vor:
- Ich muss mich anpassen.
- Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
- Was sollen nur die anderen denken?
- Ich muss etwas leisten, um etwas (Geld, Anerkennung etc.) zu verdienen.
- Nur wenn du nett bist, wirst du gemocht.
Wir wurden bereits als Kinder darauf konditioniert, die Erwartungen anderer zu erfüllen. So sollten negative Gefühle vermieden werden. Dass es sich dabei oft um die Gefühle der anderen handelte, liegt auf der Hand. Und damit auch, dass wir darüber immer mehr unsere eigenen Bedürfnisse aus den Augen verloren haben, um das Leben der anderen zu führen.
Angst vor Zurückweisung
Klar, in unseren Beziehungen wollen wir ein gutes Verhältnis, insbesondere zur Familie und zu Freunden. Ist dies stabil, geht es uns gut. Stabilität zeigt sich insbesondere dann, wenn wir uns erlauben, ehrlich und authentisch unsere Bedürfnisse zu äußern. Überleg‘ mal: Kannst du die Einladung deiner Freundin absagen, weil du Zeit für dich brauchst? Wie viele deiner Freundinnen akzeptieren diese Art von Zurückweisung?
Nein-Sagen lässt sich üben
So viel steht fest: Wenn wir keine Grenzen setzen können, geht es meist um unsere Ängste. Angst vor Ablehnung. Angst vor Konflikten. Angst, andere Menschen zu enttäuschen bzw. zu verletzen. Und doch brauchen wir diese Fähigkeit, um unser Leben so zu gestalten, wie wir es wollen. Sieh es gern als Form von Selbstschutz. Für dich und dein Leben. Zum Nein-Sagen braucht es Mut und Selbstsicherheit. Mit diesen Übungen kannst du das schaffen:
Prioritäten setzen
Was ist dir wichtig im Leben? Steht dein Kind an erster Stelle, überlege das nächste Mal, ob du wirklich noch kurz vor Feierabend die Aufgaben deiner Kollegin erledigen musst, um die sie dich gebeten hat. Wie wichtig ist dir dieser Mensch? Und auch: Wie wichtig ist dir dieser Mensch im Vergleich zu dir selbst? Klar, es kann passieren, dass dein Gegenüber kein Verständnis für deine Entscheidung hat. Frust, Wut, Traurigkeit können aufkommen. Doch hieran trägst du keine Schuld: Du bist nicht verantwortlich für die Gefühle der anderen. Und du bist auch nicht verantwortlich für das Glück anderer. Es gibt nur einen Menschen, den du am nächsten stehst, und das bist du selbst. Gerade wenn es bei Treffen mit Bekannten und Kolleg:innen um eine Absage geht: Du hast noch andere Menschen in deinem Leben, die dir näher stehen. Die für dich da sind. Für die du da bist.
Verschaffe dir Zeit und halte inne
Sofern es sich nicht um dringende Entscheidungen handelt, hast du jederzeit die Wahl, um Bedenkzeit zu bitten. Es lohnt sich, wenn du dir die Zeit nimmst und darüber nachdenkst, welchen Weg zu einschlägst. Und genau das darfst du kommunizieren: „Ich bin mir nicht sicher, ich denke darüber nach und melde mich.“ Du darfst dir erlauben, innezuhalten und dich zu fragen: Was ist das Anliegen? Möchte ich das tun? Wie viel Zeit und Energie steht mir dafür zur Verfügung? Wie viel bedeutet mir die Person?
Fass‘ dich kurz
Erkläre dich nicht allzu lange im Nein-Sagen. Sie sprechen eher für deine Schuldgefühle und Gewissensbisse. Im Grunde bist du niemandem Rechenschaft schuldig, warum du einen Gefallen, ein Treffen etc. ausschlägst. Es spricht jedoch von sozialer Kompetenz, wenn du eine kurze Begründung für deine Entscheidung mitteilst. Besonders bei Menschen, zu denen du einen enge Bindung hast.
Ein „nein“ klappt auch nach einem „ja“
Ein „ja“ verpflichtet dich nicht zu einer lebenslangen Entscheidung. Du hast das Recht, dich jederzeit umzuentscheiden. Hast du einmal zugesagt, darfst du auch wieder absagen. Hier spielt Ehrlichkeit und Offenheit eine wichtige Rolle. Lass dein Gegenüber deine Gedanken und Gefühle wissen. Schuldig bist du das jedoch nicht.
Übernimm‘ die Hauptrolle in deinem Leben
Wenn du lernst, “nein” zu sagen, stellst du dich an die erste Stelle in deinem Leben. Erlaube dir das! So gelingt es dir, auch in schwierigen Zeiten Herausforderungen zu meistern. Dabei übst du dich darin, deine Bedürfnisse zu erkennen und ernst zu nehmen. Mit einem „nein“ entscheidest du dich bewusst dafür, deine Bedürfnisse zu befriedigen. So trägst du ganz wesentlich zu deiner physischen und emotionalen Gesundheit bei.
Photo by Matthew Henry on Unsplash
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